Nachhaltig zu wirtschaften gehört seit jeher zur Firmen-DNA: Mitglieder der Unternehmensallianz „Klimaschutz und Nachhaltigkeit“ haben sich Mitte Juli vor Ort darüber informiert, wie die Eisengießerei Fritz Winter in Stadtallendorf die Umwelt und das Klima schützt. „Wir können diese gewaltige und große Aufgabe nur gemeinsam lösen“, bekräftigt Dr. Rainald Dobbener, bei Fritz Winter verantwortlich für Nachhaltigkeit. „Um dabei über den eigenen Tellerrand zu schauen, ist die Unternehmensallianz ein tolles Format.“
Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Kassel-Marburg, die Handwerkskammer (HWK) Kassel und die Vereinigung hessischer Unternehmerverbände (VhU) haben das Netzwerk im Frühjahr gegründet. Dessen Sprecher Dr. Hans-Friedrich Breithaupt (F.W. Breithaupt & Sohn GmbH & Co. KG) verwies beim ersten Besuch der Allianz bei einem Mitgliedsunternehmen auf das große Potenzial für die bereits über 80 teilnehmenden Firmen. Die Allianz helfe, den Dialog zu fördern und Betriebe miteinander zu vernetzen. „Man muss nicht jeden Fehler selbst machen“, wirbt der IHK-Vizepräsident dafür, Wissen und Erfahrungen zu teilen. „Ob klein oder groß: In der Region gibt es sehr viele innovative Firmen, die voneinander lernen können.“ Am besten gelinge das bei Besuchen vor Ort – so wie beim Auftakttreffen bei Fritz Winter.
„Wir sind ein modernes Recyclingunternehmen“, stellt Dobbener die konzernunabhängige Eisengießerei vor – sie zählt zu den größten weltweit. „Wir kaufen Stahlschrott, arbeiten ihn zu 100 Prozent auf und entwickeln daraus neue Produkte für die internationale Automobil-, Nutzfahrzeug- und Hydraulikindustrie.“ Am Ende ihres Lebenszyklus lassen sich die so gefertigten Roh- und Fertigteilkomponenten sowie komplexen Systembauteile erneut wiederverwerten – eine Nachhaltigkeits-Philosophie, die das familiengeführte Unternehmen bereits seit 1953 lebt. Zufrieden gibt sich der Mittelständler damit nicht, betont Dobbener: „Wir wollen der Benchmark für Nachhaltigkeit in der Eisengießerei-Industrie sein.“ Unter anderem nimmt das familiengeführte Unternehmen dafür viel Geld in die Hand – mehr als 217 Millionen Euro hat es in den vergangenen acht Jahren investiert. Alle neuen Ausgaben werden auf Nachhaltigkeitsaspekte überprüft.
2014 – als die Mega-Themen Klimaschutz und Nachhaltigkeit noch nicht die Agenda dominiert haben – weihte Fritz Winter eine Gießerei mit der neu entwickelten ecoCasting-Technologie für Pkw-Zylinderkurbelgehäuse ein. Dank des umweltfreundlicheren Prozesses verschmilzt Fritz Winter deutlich weniger Eisen, verbraucht weniger Energie und Ressourcen und schließt Materialkreisläufe. Die Gewichtsunterschiede zu den Konkurrenzprodukten aus Aluminium sind beim schwersten Einzelbauteil eines Motors dadurch nur noch minimal – ein entscheidendes Argument, um im Wettbewerb zu bestehen.
Durch das ecoCasting lässt sich die Wandstärke von Eisengussteilen auf bis zu 2,5 Millimeter verringern, die Fehlertoleranz liegt bei etwa 0,5 Millimetern. „Das gibt es nirgendwo auf der Welt“, unterstreicht Dobbener. Überdies sei Aluminium weniger nachhaltig: „Der CO2-Ausstoss liegt etwa 18-mal höher als bei Eisen. Darüber hinaus ist Alu-Schrott nur im begrenzten Maße recycelbar, Eisen hingegen vollständig.“ Seit 2014 entwickelt Fritz Winter das Verfahren stetig weiter. Im vergangenen Jahr errichtete sie eine zweite ecoCasting-Gießerei für schwere Nutzfahrzeug-Zylinderblöcke.
Dieses Know-how könnte sich zum entscheidenden Alleinstellungsmerkmal für die Stadtallendorfer herauskristallisieren. Schließlich liege bei der Bewertung von Angeboten künftig nicht nur der Kaufpreis in der Waagschale, sondern auch der CO2-Fußabdruck eines Produkts. „Diese Komponente wird mehr und mehr ein Entscheidungskriterium bei Kalkulation und Auftragsvergabe“, blickt der Nachhaltigkeitsmanager voraus. „Erste Anfragen liegen uns bereits vor.“ Hinsichtlich des vollständigen Erfassens der Treibhausgasemissionen entlang der Wertschöpfungskette stehe man allerdings noch am Anfang, so Dobbener. Verschiedene Datenbanken seien hilfreich, um bei Definition und Klassifizierung zu unterstützen.
Eine beinahe herkulische Aufgabe ist für Fritz Winter, die vorgegebenen Klimaschutzziele zu erreichen: Die Eisengießerei stößt pro Jahr circa 200.000 Tonnen CO2 aus – so viel wie die Städte Marburg und Gießen zusammen. „Das sind die Fakten, damit müssen wir umgehen“, sagt Dobbener. „Wir wissen, wohin wir wollen und haben die einzelnen Schritte mit konkreten Maßnahmen hinterlegt.“ Das Zwischenziel lautet, bis zum Jahr 2030 mehr als 50 Prozent des CO2-Ausstoßes einzusparen.
Zum unmittelbaren Maßnahmenpaket gehört, die in vielen Bereichen anfallende Abwärme noch intensiver zu nutzen. Und das nicht nur zum Heizen von Gebäuden und dem Erwärmen des Brauchwassers, sondern auch um Gas bei Trocknungsprozessen zu ersetzen. Um Eisen bei circa 1400 Grad Celsius zu schmelzen, nutzt das Werk bislang vor allem Koks. Dafür gilt es ebenfalls so gut wie möglich Ersatz zu beschaffen. So stellt das Unternehmen in naher Zukunft eines der beiden Koks-Aggregate auf elektrisch betriebene Schmelztiegel um. Bei anstehenden Ersatzbeschaffungen plant das Unternehmen Technologien zu kaufen, die flexibel auf andere Energieträger umrüstbar sind, zum Beispiel von Gas auf Wasserstoff.
Um Wissen zu teilen und Ideen zu kreieren, knüpft Fritz Winter neue Netzwerke. Mit weiteren Unternehmen sowie Fachleuten aus Universitäten und Kommunen betreibt es ein Konsortium, um im Gesamtverbund den CO2-Ausstoß zu verringern. Entstanden ist eine Projektskizze für ein Reallabor, um daraus umweltfreundlichere industrielle Anwendungen zu entwickeln. Die Skizze liegt dem Bund zur Prüfung vor.
In anderen Bereichen kann sich das Engagement ebenfalls sehen lassen. Den Trinkwasserverbrauch für eine Tonne Eisenguss hat der Betrieb seit 1988 um 67 Prozent verringert. 2007 ist er dem Global Compact der Vereinten Nationen für eine nachhaltige und verantwortungsvolle Unternehmensführung beigetreten, seit 2020 ist Nachhaltigkeit zentraler Bestandteil der Firmenstrategie. Das spiegelt sich in der Organisationsstruktur wider: Vom Lenkungsausschuss über eine Stabsstelle bis zum Arbeitskreis dekliniert Fritz Winter Nachhaltigkeit für alle Facetten des Betriebsalltags durch. „Wir verfolgen einen sehr umfassenden, integrierten Ansatz“, erklärt Dobbener. Dafür seien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus allen Bereichen in die verschiedenen Gremien eingebunden: „Damit wir erfolgreich sind, zieht die gesamte Firma mit.“
Die 3300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an vier Gießereistandorten bereiten sich dabei nicht auf einen Marathon vor, sondern auf eine Ultra-Langstrecke. Man könne nicht alles sofort erledigen, betont Dobbener. „Das ist auch in Ordnung. Wichtig ist, dass wir uns auf den Weg machen.“
Kontakt
Fragen zur Unternehmensallianz und zum Klimaschutz? Dr.-Ing. Tobias Heidrich hilft weiter: Tel. 0561 7891-208, E-Mail: heidrich@kassel.ihk.de