Interview: Warum sich Sustainable-Finance-Experte Prof. Dr. Christian Klein von der Universität Kassel als Fan der EU-Regeln outet, sich aber mehr Unterstützung für Firmen wünscht.
Die Sustainable-Finance-Strategie der EU-Kommission soll Finanzströme gezielt in nachhaltige Projekte und Unternehmen lenken. Bedeutet das, dass die Kapitalmärkte die Aufgabe bekommen, unsere Welt zu retten?
Na ja, im Grunde genommen geht es doch vor allem darum, Vereinbarungen einzuhalten, auf die sich die Menschheit geeinigt hat. Eine große Rolle spielt hier das Pariser Klimaschutzabkommen: Wenn wir bis allerspätestens 2050 in Europa klimaneutral sein wollen, müssen wir unsere Wirtschaft massiv umbauen. Was jetzt gerade passiert, ist eigentlich nur, dass aufgezeigt wird, welche Investitionen dabei notwendig sind – und welche eben keinen Sinn mehr machen.
Grundsätzlich betrachtet: Hebelt der Versuch, Umwelt- und Sozialpolitik über die Finanzmarktpolitik zu steuern, die Ordnungspolitik, wie wir sie kennen, aus?
Nein. Die Finanzmärkte können lediglich eine unterstützende Funktion haben. Bisher geht es letztendlich um Transparenz. Es soll aufgezeigt werden, welche Geschäftsmodelle mit bestimmten Nachhaltigkeitszielen, wie die Eindämmung des Klimawandels, im Einklang stehen und welche nicht. Hierfür benötigen wir völlig neue Daten, die bisher nicht vorliegen. Die EU-Kommission zwingt nun die Unternehmen per Regulatorik, diese Daten zu liefern.
Ist die soziale Marktwirtschaft ein Auslaufmodell?
Aus meiner Sicht definitiv nicht, ganz im Gegenteil. Ich spreche jetzt etwas aus, was sich aus irgendwelchen Gründen viele nicht zu sagen trauen: Die Transformation unserer Wirtschaft und unserer Gesellschaft, die notwendig ist, um diesen Planeten zu retten, wird etwas kosten. Aufgabe der Politik wird sein, diese Kosten sozialverträglich zu verteilen. Eine 80-jährige Rentnerin kann die energetische Sanierung ihres kleinen Häusleins wahrscheinlich nicht finanzieren, und sie bekommt wohl auch keinen Kredit mehr dafür. Bei mir sähe das anders aus. Hier muss ein Ausgleich stattfinden.
Wie kann nachhaltige Finanzwirtschaft überhaupt funktionieren?
Eigentlich geht es nur um Risikomanagement. Wenn wir das 2.0-Grad-Ziel erreichen wollen, macht es keinen Sinn mehr, beispielsweise in Ölförderung zu investieren. Aber das geht noch weiter: Ein Stahlhersteller, der sich bisher noch keine Gedanken gemacht hat, wie er in den nächsten Jahrzehnten seine Produktion CO2-neutral bekommen wird, ist für die Zukunft schlecht vorbereitet und stellt somit für seine Hausbank ein Risiko dar. Die Bank sollte sich also genau überlegen, ob und zu welchen Konditionen sie diesem Unternehmen noch Kredite zur Verfügung stellt. Nachhaltige Finanzwirtschaft bedeutet auch, dass solche Informationen transparent gemacht werden.
Inwieweit sind regionale kleine und mittlere Unternehmen (KMU) betroffen und haben sich vorbereitet?
Ich vermute, dass die meisten produzierenden Unternehmen auf irgendeiner Art und Weise von dieser enormen Transformation, die uns bevorsteht, betroffen sein werden. Was wir wahrnehmen, ist, dass die KMUs sehr unterschiedlich vorbereitet sind. Einige sind sehr weit, da können sich die Konzerne einiges abschauen. Andere haben das Thema noch gar nicht auf dem Schirm – diese Unternehmen werden kurz- bis mittelfristig Probleme bekommen.
Was sollte aus Ihrer Sicht die Finanzmarktregulierung beachten, wenn es um den Mittelstand geht? Die Regulierung will doch wohl kaum die Finanzierungsfähigkeit von kleinen und mittleren Unternehmen gefährden?
Na ja, es wird wohl auch Geschäftsmodelle geben, die einfach nicht mehr funktionieren werden. Aber wenn es möglich ist, diese Geschäftsmodelle zu transformieren, muss den Unternehmen geholfen werden. Das hat die Politik und die Finanzwelt inzwischen auch erkannt. Bei dem Thema „Nachhaltigkeit“ ist Schwarz-Weiß-Denken der falsche Ansatz. Vielmehr geht es darum, schrittweise unsere Wirtschaft immer enkeltauglicher zu gestalten. Und hier wünsche ich mir, dass Politik, Finanzmärkte und Unternehmen konstruktiv zusammenarbeiten.
Welche Stärken und Schwächen sehen Sie in der Strategie der EU?
Zuerst muss ich mich outen: In bin ein großer Fan der EU-Strategie und finde es beeindruckend, was hier an Regulierung auf den Weg gebracht wurde. Dass das anstrengend und aufwendig für die Unternehmen wird, war zu befürchten. Problematisch ist jedoch, dass einige Regelungen wirklich sehr komplex geraten sind. Ich wünsche mir hier jedoch keine Abschaffung dieser Regelungen, sondern vielmehr Unterstützungsangebote für KMUs bei deren Umsetzung.
Zur Person:
Dr. Christian Klein ist Professor für Sustainable Finance an der Universität Kassel und bundesweit einer der Vorreiter auf dem Themengebiet „Nachhaltige Finanzwirtschaft“. Seine Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem in der Messung des Beitrags, den nachhaltige Anlageprodukte zur Erreichung der Sustainable Development Goals leisten können. Der Autor von zahlreichen wissenschaftlichen Fachveröffentlichungen ist ein gefragter Redner.
Er ist Mitbegründer der Wissenschaftsplattform Sustainable Finance Deutschland und somit ständiger Beobachter und wissenschaftlicher Begleiter des Sustainable Finance Beirats der Bundesregierung. Zudem ist er in mehreren wissenschaftlichen Beiräten verschiedener Sustainable-Finance-Organisationen aktiv sowie als Chair des Nachhaltigkeitsbeirats der Bayer AG. Bereits 2006 wurde er als „Dozent des Jahres“ an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät Augsburg ausgezeichnet. 2008 erhielt er für seine Leistungen in der Lehre den Hohenheimer Lehrpreis. 2009 folgte der Erich-Gutenberg-Preis für Nachwuchswissenschaftler.
Von Bettina Wienecke für www.wirtschaftnordhessen.de