Immer mehr Unternehmen sind verpflichtet, nach EU-Vorgaben einen Nachhaltigkeitsbericht zu erstellen. Über die Auswirkungen in der Praxis tauschten sich die Mitglieder des IHK-Industrieausschusses bei GSK Vaccines aus.

Der Green Deal der Europäischen Union (EU) als Beitrag zum Pariser Klimaschutzabkommen bildet den Ausgangspunkt für einen umfassenden Umbau der Wirtschaft – mit dem übergeordneten Ziel, Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen. Deshalb sollen die Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 gesenkt werden.
Teil des Green Deals ist die im November 2022 vom EU-Parlament verabschiedete Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), die die Nachhaltigkeitsberichterstattung nach verbindlichen EU-Standards zum Muss für viele Unternehmen macht. Über die Ziele und praktische Umsetzung der CSRD informierten sich die Mitglieder des Industrieausschusses der IHK Kassel-Marburg bei einem Treffen in Marburg. Gastgeber war die GSK Vaccines GmbH.
Wie Julia Kahrmann, Nachhaltigkeitsmanagerin der FACT Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in Kassel, ausführte, wird die CSRD schrittweise eingeführt. Gleichzeitig werden die Berichtspflichten immer komplexer, und der Kreis der betroffenen Unternehmen wird deutlich größer. Laut Kahrmann sind künftig rund 15.000 Unternehmen in Deutschland zur Berichterstattung und Offenlegung verpflichtet. Neben den Finanzkennzahlen müssen sie jährlich ein ESG-Reporting erstellen. ESG ist die Kurzform für Environmental, Social und Governance – also Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Im Mittelpunkt stehen dabei unter anderem Aspekte wie die Klimabilanz, Diversität, Chancengleichheit, Arbeitssicherheit und Unternehmenskultur.
Die EU-Standards zur Umsetzung der CSRD sollten bereits ab dem Berichtsjahr 2024 für kapitalmarktorientierte Unternehmen, Finanzdienstleister und Versicherungen gelten. Nach Überführung ins nationale Recht greifen sie ab 2025 dann für alle Unternehmen, die mindestens zwei der folgenden drei Kriterien erfüllen, wie Kahrmann erklärte:
- eine Bilanzsumme von mindestens 25 Millionen Euro,
- Umsatzerlöse von mindestens 50 Millionen Euro oder
- mindestens 250 Beschäftigte.
Ab 2026 sind zudem börsennotierte kleine und mittlere Unternehmen verpflichtet, diese Standards anzuwenden. Ab 2028 gilt die Berichtspflicht auch für Unternehmen aus Drittländern.
Ziele sind laut Kahrmann, eine einheitliche Nachhaltigkeitsberichterstattung zu fördern, eine höhere Transparenz zu schaffen und den Stakeholdern verlässliche und vergleichbare Nachhaltigkeitsinformationen bereitzustellen, die zur Bewertung der nicht finanziellen Unternehmensleistung beitragen. Für die drei Bereiche Umwelt, Soziales und Unternehmensführung gibt es offiziell insgesamt 1200 Datenpunkte, an denen sich Firmen orientieren können.
Julia Kahrmann bezeichnete die sogenannte „doppelte Wesentlichkeitsanalyse“ als den Kern der CSRD-Berichterstattung. Diese Analyse dient dazu, zunächst die relevanten Themen eines Unternehmens zu identifizieren. Grundlage ist eine systematische Übersicht der Geschäftsaktivitäten entlang der gesamten Wertschöpfungskette. „Ein Nachhaltigkeitsthema gilt im Sinne der CSRD als wesentlich, wenn es entweder aus der Perspektive der Auswirkungen, als des Impacts, oder aus finanzieller Sicht als relevant eingestuft wird – oder wenn beides zutrifft. Dann spricht man von der doppelten Wesentlichkeit“, erklärte die Expertin.
Ihr Fazit: Die neuen Berichterstattungspflichten bringen weitreichende und komplexe Anforderungen nicht nur für die betroffenen Unternehmen mit sich, sondern auch für die gesamte Wertschöpfungskette. „Die erforderlichen Informationen zu erheben, benötigt ein strukturiertes Vorgehen, das Implementieren geeigneter Prozesse und Systeme sowie das Einbinden verschiedener Unternehmensbereiche“, betonte sie.
Gleichzeitig ist Kahrmann überzeugt, dass ein proaktiver Umgang mit der Nachhaltigkeitsberichterstattung Chancen bietet, ein Unternehmen zukunftsfähig zu positionieren – zum Beispiel, um das Vertrauen der Stakeholder zu erhalten, die Mitarbeitergewinnung und -bindung zu fördern, Prozesse zu optimieren und Kosten zu senken. Sie fügte hinzu: „Eine effektive Nachhaltigkeitsstrategie trägt dazu bei, das Risiko von Ressourcenknappheit und Preisvolatilität zu verringern.“
Hermann Mey, Manager International Quality & CSR bei der HÜBNER-Gruppe in Kassel, ergänzte um Einblicke aus der Betriebspraxis. Aus seiner Sicht hat die CSRD zu zwei grundlegenden Anforderungen im Unternehmen geführt: Zum einen müsse ein wirksames Nachhaltigkeitsmanagement aufgebaut werden, das sich mit Analysen, Strategien, Zielen und Regelungen befasst. Zum anderen seien umfassende Daten zu erheben. Aus diesem Grund empfiehlt Mey anderen Unternehmen, frühzeitig mit der Datenerhebung und dem Erstellen von Nachhaltigkeitsberichten zu beginnen.
Dr.-Ing. Tobias Heidrich, Teamleiter für Energie, Umwelt und Industrie bei der IHK Kassel-Marburg, gab einen Überblick über Softwarelösungen zum automatisierten Erstellen von Nachhaltigkeitsberichten. Diese unterstützen Unternehmen unter anderem dabei, gesetzliche Anforderungen zu erfüllen und die Qualität der gesammelten Daten zu optimieren. Auf dem Markt seien verschiedene dieser Werkzeuge erhältlich, etwa für ESG-Reporting, CO2-Bilanzierung und Lieferkettenmanagement. Sie bieten Funktionen von Datenerfassung und -analyse über das Risikomanagement bis hin zur Stakeholder-Kommunikation. Es existierten sowohl kleine als auch große Lösungen, Tools speziell für den Mittelstand und für bestimmte Anwendungen wie die Wesentlichkeitsanalyse. Heidrich, der Unternehmen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung berät, verweist auf Vergleichsplattformen, die einen guten Überblick über die verfügbaren Softwarelösungen bieten.
Fragen? Dr.-Ing. Tobias Heidrich, Teamleiter Energie, Umwelt und Industrie bei der IHK Kassel-Marburg, hilft gern weiter: Tel. 0561 7891-208, E‑Mail: heidrich@kassel.ihk.de
Quelle: Wirtschaft Nordhessen